Sechstes Hauptstück.

Garantien der Verfassung und Verwaltung.

Artikel 129. Zur Sicherung der Gesetzmäßigkeit der gesamten öffentlichen Verwaltung sind die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern und der Verwaltungsgerichtshof in Wien berufen.

A. Unabhängige Verwaltungssenate in den Ländern

Artikel 129a. (1) Die unabhängigen Verwaltungssenate erkennen nach Erschöpfung des administrativen Instanzenzuges, sofern ein solcher in Betracht kommt,

  1. in Verfahren wegen Verwaltungsübertretungen, ausgenommen Finanzstrafsachen des Bundes,
  2. über Beschwerden von Personen, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt zu sein, ausgenommen in Finanzstrafsachen des Bundes,
  3. in sonstigen Angelegenheiten, die ihnen durch die die einzelnen Gebiete der Verwaltung regelnden Bundes- oder Landesgesetze zugewiesen werden,
  4. über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht in Angelegenheiten der Z 1, soweit es sich um Privatanklagesachen oder um das landesgesetzliche Abgabenstrafrecht handelt, und der Z 3.
(2) Es kann gesetzlich vorgesehen werden, daß die Entscheidungen in erster Instanz unmittelbar beim unabhängigen Verwaltungssenat angefochten werden können. In den Angelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung sowie der Art. 11 und 12 dürfen derartige Bundesgesetze nur mit Zustimmung der beteiligten Länder kundgemacht werden.

(3) Art. 89 gilt sinngemäß auch für die unabhängigen Verwaltungssenate.

Artikel 129b. (1) Die unabhängigen Verwaltungssenate bestehen aus einem Vorsitzenden, einem Stellvertretenden Vorsitzenden und der erforderlichen Zahl von sonstigen Mitgliedern. Ihre Mitglieder werden von der Landesregierung für mindestens sechs Jahre ernannt. Wenigstens der vierte Teil der Mitglieder soll aus Berufsstellungen im Bund entnommen werden.

(2) Die Mitglieder der unabhängigen Verwaltungssenate sind bei Besorgung der ihnen nach den Art. 129a und 129b zukommenden Aufgaben an keine Weisungen gebunden. Die Geschäfte sind auf die Mitglieder der unabhängigen Verwaltungssenate für die landesgesetzlich bestimmte Zeit im voraus zu verteilen; eine nach dieser Einteilung einem Mitglied eines unabhängigen Verwaltungssenates zufallende Sache darf ihm nur im Falle der Behinderung durch Verfügung des Vorsitzenden abgenommen werden.

(3) Vor Ablauf der Bestellungsdauer dürfen die Mitglieder der unabhängigen Verwaltungssenate nur in den gesetzlich bestimmten Fällen und nur auf Beschluß des unabhängigen Verwaltungssenates ihres Amtes enthoben werden.

(4) Die Mitglieder der unabhängigen Verwaltungssenate müssen rechtskundig sein. Sie dürfen für die Dauer ihres Amtes keine Tätigkeit ausüben, die Zweifel an der unabhängigen Ausübung ihres Amtes hervorrufen könnte.

(5) Nach dem das Verfahren vor den unabhängigen Verwaltungssenaten regelnden Bundesgesetz entscheiden diese Behörden durch mehrere oder durch einzelne Mitglieder.

(6) Die Organisation der unabhängigen Verwaltungssenate sowie das Dienstrecht ihrer Mitglieder werden durch Landesgesetze, das Verfahren durch Bundesgesetz geregelt.

B. Verwaltungsgerichtshof

Artikel 130. (1) Der Verwaltungsgerichtshof erkennt über Beschwerden, womit
a) Rechtswidrigkeit von Bescheiden der Verwaltungsbehörden einschließlich der unabhängigen Verwaltungssenate oder
b) Verletzung der Entscheidungspflicht der Verwaltungsbehörden einschließlich der unabhängigen Verwaltungssenate behauptet wird. Der Verwaltungsgerichtshof erkennt außerdem über Beschwerden gegen Weisungen gemäß Art. 81a Abs. 4.

(2) Rechtswidrigkeit liegt nicht vor, soweit die Gesetzgebung von einer bindenden Regelung des Verhaltens der Verwaltungsbehörde absieht und die Bestimmung dieses Verhaltens der Behörde selbst überläßt, die Behörde aber von diesem freien Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht hat.

Artikel 131. (1) Gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde kann wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde erheben:

  1. wer durch den Bescheid in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet, nach Erschöpfung des Instanzenzuges;
  2. in den Angelegenheiten der Artikel 11, 12, 14 Abs. 2 und 3 und 14a Abs. 3 und 4 sowie in jenen Angelegenheiten, in denen dem Bescheid eines Landes- oder Bezirksschulrates ein kollegialer Beschluß zugrunde liegt, der zuständige Bundesminister, soweit die Parteien den Bescheid im Instanzenzug nicht mehr anfechten können.
  3. in den Angelegenheiten des Artikels 15 Absatz 5 erster Satz die zuständige Landesregierung gegen Bescheide des zuständigen Bundesministers.
(2) Unter welchen Voraussetzungen auch in anderen als den in Abs. (1) angeführten Fällen Beschwerden gegen Bescheide von Verwaltungsbehörden wegen Rechtswidrigkeit zulässig sind, wird in den die einzelnen Gebiete der Verwaltung regelnden Bundes- oder Landesgesetzen bestimmt.

(3) Der Verwaltungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde gegen einen Bescheid eines unabhängigen Verwaltungssenates in einer Verwaltungsstrafsache durch Beschluß ablehnen, wenn nur eine geringe Geldstrafe verhängt wurde und die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil der unabhängige Verwaltungssenat von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Artikel 132. Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch Verwaltungsbehörden einschließlich der unabhängigen Verwaltungssenate kann erheben, wer im Verwaltungsverfahren als Partei zur Geltendmachung der Entscheidungspflicht berechtigt war. In Verwaltungsstrafsachen ist eine Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht nicht zulässig; dies gilt nicht für Privatanklage- und für Finanzstrafsachen.

Artikel 133. Ausgeschlossen von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes sind:

  1. die Angelegenheiten, die zur Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes gehören;
  2. (Anm.: Aufgehoben durch Art. I Z 37 BVG, BGBl. Nr. 444/1974.)
  3. die Angelegenheiten des Patentwesens;
  4. die Angelegenheiten, über die in oberster Instanz die Entscheidung einer Kollegialbehörde zusteht, wenn nach dem die Einrichtung dieser Behörde regelnden Bundes- oder Landesgesetz unter den Mitgliedern sich wenigstens ein Richter befindet, auch die übrigen Mitglieder in Ausübung dieses Amtes an keine Weisungen gebunden sind, die Bescheide der Behörde nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungsweg unterliegen und nicht, ungeachtet des Zutreffens dieser Bedingungen, die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes ausdrücklich für zulässig erklärt ist.
Artikel 134. (1) Der Verwaltungsgerichtshof besteht aus einem Präsidenten, einem Vizepräsidenten und der erforderlichen Zahl von sonstigen Mitgliedern (Senatspräsidenten und Räten).

(2) Den Präsidenten, den Vizepräsidenten und die übrigen Mitglieder des Verwaltungsgerichtshofes ernennt der Bundespräsident auf Vorschlag der Bundesregierung. Die Bundesregierung erstattet ihre Vorschläge, soweit es sich nicht um die Stelle des Präsidenten oder des Vizepräsidenten handelt, auf Grund von Dreiervorschlägen der Vollversammlung des Verwaltungsgerichtshofes.

(3) Alle Mitglieder des Verwaltungsgerichtshofes müssen die rechts- und staatswissenschaftlichen Studien vollendet und bereits durch mindestens zehn Jahre eine Berufsstellung bekleidet haben, für die die Vollendung dieser Studien vorgeschrieben ist. Wenigstens der dritte Teil der Mitglieder muß die Befähigung zum Richteramt haben, wenigstens der vierte Teil soll aus Berufsstellungen in den Ländern, womöglich aus dem Verwaltungsdienst der Länder, entnommen werden.

(4) Dem Verwaltungsgerichtshof können Mitglieder der Bundesregierung, einer Landesregierung oder eines allgemeinen Vertretungskörpers nicht angehören; für Mitglieder der allgemeinen Vertretungskörper, die auf eine bestimmte Gesetzgebungs- oder Funktionsperiode gewählt wurden, dauert die Unvereinbarkeit auch bei vorzeitigem Verzicht auf das Mandat bis zum Ablauf der Gesetzgebungs- oder Funktionsperiode fort.

(5) Zum Präsidenten oder Vizepräsidenten des Verwaltungsgerichtshofes kann nicht bestellt werden, wer eine der im Abs. (4) bezeichneten Funktionen in den letzten vier Jahren bekleidet hat.

(6) Alle Mitglieder des Verwaltungsgerichtshofes sind berufsmäßig angestellte Richter. Die Bestimmungen des Artikels 87, Abs. (1) und (2), und des Artikels 88, Abs. (2), finden auf sie Anwendung. Am 31. Dezember des Jahres, in dem sie das fünfundsechzigste Lebensjahr vollenden, treten die Mitglieder des Verwaltungsgerichtshofes kraft Gesetzes in den dauernden Ruhestand.

Artikel 135. (1) Der Verwaltungsgerichtshof erkennt in Senaten, die von der Vollversammlung aus den Mitgliedern des Gerichtshofes zu bilden sind.

(2) Die Geschäfte sind durch die Vollversammlung auf die Senate für die durch Bundesgesetz bestimmte Zeit im voraus zu verteilen.

(3) Eine nach dieser Einteilung einem Mitglied zufallende Sache darf diesem nur im Falle seiner Behinderung abgenommen werden.

(4) Art. 89 gilt sinngemäß auch für den Verwaltungsgerichtshof.

Artikel 136. Die näheren Bestimmungen über Einrichtung, Aufgabenkreis und Verfahren des Verwaltungsgerichtshofes werden durch ein besonderes Bundesgesetz und auf Grund dieses durch eine von der Vollversammlung zu beschließende Geschäftsordnung geregelt.

C. Verfassungsgerichtshof

Artikel 137. Der Verfassungsgerichtshof erkennt über vermögensrechtliche Ansprüche an den Bund, die Länder, die Bezirke, die Gemeinden und Gemeindeverbände, die weder im ordentlichen Rechtsweg auszutragen, noch durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen sind.

Artikel 138. (1) Der Verfassungsgerichtshof erkennt ferner über Kompetenzkonflikte

(2) Der Verfassungsgerichtshof stellt weiters auf Antrag der Bundesregierung oder einer Landesregierung fest, ob ein Akt der Gesetzgebung oder Vollziehung in die Zuständigkeit des Bundes oder der Länder fällt.

Artikel 138a. (1) Auf Antrag der Bundesregierung oder einer beteiligten Landesregierung stellt der Verfassungsgerichtshof fest, ob eine Vereinbarung im Sinne des Artikels 15a Absatz 1 vorliegt und ob von einem Land oder dem Bund die aus einer solchen Vereinbarung folgenden Verpflichtungen, soweit es sich nicht um vermögensrechtliche Ansprüche handelt, erfüllt worden sind.

(2) Wenn es in einer Vereinbarung im Sinne des Artikels 15a Absatz 2 vorgesehen ist, stellt der Verfassungsgerichtshof ferner auf Antrag einer beteiligten Landesregierung fest, ob eine solche Vereinbarung vorliegt und ob die aus einer solchen Vereinbarung folgenden Verpflichtungen, soweit es sich nicht um vermögensrechtliche Ansprüche handelt, erfüllt worden sind.

Artikel 139. (1) Der Verfassungsgerichtshof erkennt über Gesetzwidrigkeit von Verordnungen einer Bundes- oder Landesbehörde auf Antrag eines Gerichtes oder eines unabhängigen Verwaltungssenates, sofern aber der Verfassungsgerichtshof eine solche Verordnung in einer anhängigen Rechtssache anzuwenden hätte, von Amts wegen. Er erkennt über Gesetzwidrigkeit von Verordnungen einer Landesbehörde auch auf Antrag der Bundesregierung und über Gesetzwidrigkeit von Verordnungen einer Bundesbehörde auch auf Antrag einer Landesregierung und über Gesetzwidrigkeit von Verordnungen einer Gemeindeaufsichtsbehörde nach Art. 119a Abs. 6 auch auf Antrag der betreffenden Gemeinde. Er erkennt ferner über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist; für solche Anträge gilt Art. 89 Abs. 3 sinngemäß.

(2) Wird in einer beim Verfassungsgerichtshof anhängigen Rechtssache, in der der Verfassungsgerichtshof eine Verordnung anzuwenden hat, die Partei klaglos gestellt, so ist ein bereits eingeleitetes Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit der Verordnung dennoch fortzusetzen.

(3) Der Verfassungsgerichtshof darf eine Verordnung nur insoweit als gesetzwidrig aufheben, als ihre Aufhebung ausdrücklich beantragt wurde oder als sie der Verfassungsgerichtshof in der bei ihm anhängigen Rechtssache anzuwenden h auml;tte. Gelangt der Verfassungsgerichtshof jedoch zur Auffassung, daß die ganze Verordnung

(4) Ist die Verordnung im Zeitpunkt der Fällung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes bereits außer Kraft getreten und wurde das Verfahren von Amts wegen eingeleitet oder der Antrag von einem Gericht oder von einer Person gestellt, die unmittelbar durch die Gesetzwidrigkeit der Verordnung in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, so hat der Verfassungsgerichtshof auszusprechen, ob die Verordnung gesetzwidrig war. Abs. 3 gilt sinngemäß.

(5) Das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, mit dem die Verordnung als gesetzwidrig aufgehoben wird, verpflichtet die zuständige oberste Behörde des Bundes oder des Landes zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung. Die Aufhebung tritt am Tage der Kundmachung in Kraft, wenn nicht der Verfassungsgerichtshof für das Außerkrafttreten eine Frist bestimmt, die sechs Monate, wenn aber gesetzliche Vorkehrungen erforderlich sind, ein Jahr nicht überschreiten darf.

(6) Ist eine Verordnung wegen Gesetzwidrigkeit aufgehoben worden oder hat der Verfassungsgerichtshof gemäß Abs. 4 ausgesprochen, daß eine Verordnung gesetzwidrig war, so sind alle Gerichte und Verwaltungsbehörden an den Spruch des Verfassungsgerichtshofes gebunden. Auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlaßfalles ist jedoch die Verordnung weiterhin anzuwenden, sofern der Verfassungsgerichtshof nicht in seinem aufhebenden Erkenntnis anderes ausspricht. Hat der Verfassungsgerichtshof in seinem aufhebenden Erkenntnis eine Frist gemäß Abs. 5 gesetzt, so ist die Verordnung auf alle bis zum Ablauf dieser Frist verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlaßfalles anzuwenden.

Artikel 139a. Der Verfassungsgerichtshof erkennt über die Frage, ob bei der Wiederverlautbarung einer Rechtsvorschrift die Grenzen der erteilten Ermächtigung überschritten wurden, auf Antrag eines Gerichtes; sofern aber die Wiederverlautbarung der Rechtsvorschrift die Voraussetzung eines Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes selbst bildet, von Amts wegen; bei Rechtsvorschriften, die vom Bund wiederverlautbart wurden, auch auf Antrag einer Landesregierung, bei Rechtsvorschriften, die von einem Land wiederverlautbart wurden, auch auf Antrag der Bundesregierung. Er erkennt ferner über die Frage, ob bei der Wiederverlautbarung einer Rechtsvorschrift die Grenzen der erteilten Ermächtigung überschritten wurden, auf Antrag einer Person, die dadurch unmittelbar in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern die wiederverlautbarte Rechtsvorschrift ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Art. 89 Abs. 2, 3 und 5 sowie Art. 139 Abs. 2 bis 6 sind sinngemäß anzuwenden.

Artikel 140. (1) Der Verfassungsgerichtshof erkennt über Verfassungswidrigkeit eines Bundes- oder Landesgesetzes auf Antrag des Verwaltungsgerichtshofes, des Obersten Gerichtshofes, eines zur Entscheidung in zweiter Instanz berufenen Gerichtes oder eines unabhängigen Verwaltungssenates, sofern aber der Verfassungsgerichtshof ein solches Gesetz in einer anhängigen Rechtssache anzuwenden hätte, von Amts wegen. Er erkennt über Verfassungswidrigkeit von Landesgesetzen auch auf Antrag der Bundesregierung und über Verfassungswidrigkeit von Bundesgesetzen auch auf Antrag einer Landesregierung, eines Drittels der Mitglieder des Nationalrates oder eines Drittels der Mitglieder des Bundesrates. Durch Landesverfassungsgesetz kann bestimmt werden, daß ein solches Antragsrecht hinsichtlich der Verfassungswidrigkeit von Landesgesetzen auch einem Drittel der Mitglieder des Landtages zusteht. Der Verfassungsgerichtshof erkennt ferner über Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist; für solche Anträge gilt Art. 89 Abs. 3 sinngemäß.

(2) Wird in einer beim Verfassungsgerichtshof anhängigen Rechtssache, in der der Verfassungsgerichtshof ein Gesetz anzuwenden hat, die Partei klaglos gestellt, so ist ein bereits eingeleitetes Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes dennoch fortzusetzen.

(3) Der Verfassungsgerichtshof darf ein Gesetz nur insoweit als verfassungswidrig aufheben, als seine Aufhebung ausdrücklich beantragt wurde oder als der Verfassungsgerichtshof das Gesetz in der bei ihm anhängigen Rechtssache anzuwenden hätte. Gelangt der Verfassungsgerichtshof jedoch zu der Auffassung, daß das ganze Gesetz von einem nach der Kompetenzverteilung nicht berufenen Gesetzgebungsorgan erlassen oder in verfassungswidriger Weise kundgemacht wurde, so hat er das ganze Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben. Dies gilt nicht, wenn die Aufhebung des ganzen Gesetzes offensichtlich den rechtlichen Interessen der Partei zuwiderläuft, die einen Antrag gemäß dem letzten Satz des Abs. 1 gestellt hat oder deren Rechtssache Anlaß für die Einleitung eines amtswegigen Gesetzesprüfungsverfahrens gegeben hat.

(4) Ist das Gesetz im Zeitpunkt der Fällung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes bereits außer Kraft getreten und wurde das Verfahren von Amts wegen eingeleitet oder der Antrag von einem Gericht oder von einer Person gestellt, die unmittelbar durch die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, so hat der Verfassungsgerichtshof auszusprechen, ob das Gesetz verfassungswidrig war. Abs. 3 gilt sinngemäß.

(5) Das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, mit dem ein Gesetz als verfassungswidrig aufgehoben wird, verpflichtet den Bundeskanzler oder den zuständigen Landeshauptmann zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung. Dies gilt sinngemäß für den Fall eines Ausspruches gemäß Abs. 4. Die Aufhebung tritt am Tage der Kundmachung in Kraft, wenn nicht der Verfassungsgerichtshof für das Außerkrafttreten eine Frist bestimmt. Diese Frist darf 18 Monate nicht überschreiten.

(6) Wird durch ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes ein Gesetz als verfassungswidrig aufgehoben, so treten mit dem Tag des Inkrafttretens der Aufhebung, falls das Erkenntnis nicht anderes ausspricht, die gesetzlichen Bestimmungen wieder in Wirksamkeit, die durch das vom Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig erkannte Gesetz aufgehoben worden waren. In der Kundmachung über die Aufhebung des Gesetzes ist auch zu verlautbaren, ob und welche gesetzlichen Bestimmungen wieder in Kraft treten.

(7) Ist ein Gesetz wegen Verfassungswidrigkeit aufgehoben worden oder hat der Verfassungsgerichtshof gemäß Abs. 4 ausgesprochen, daß ein Gesetz verfassungswidrig war, so sind alle Gerichte und Verwaltungsbehörden an den Spruch des Verfassungsgerichtshofes gebunden. Auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlaßfalles ist jedoch das Gesetz weiterhin anzuwenden, sofern der Verfassungsgerichtshof nicht in seinem aufhebenden Erkenntnis anderes ausspricht. Hat der Verfassungsgerichtshof in seinem aufhebenden Erkenntnis eine Frist gemäß Abs. 5 gesetzt, so ist das Gesetz auf alle bis zum Ablauf dieser Frist verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlaßfalles anzuwenden.

Artikel 140a. (1) Der Verfassungsgerichtshof erkennt über die Rechtswidrigkeit von Staatsverträgen. Dabei ist auf die mit Genehmigung des Nationalrates gemäß Art. 50 abgeschlossenen Staatsverträge und die gesetzändernden oder gesetzesergänzenden Staatsverträge gemäß Art. 16 Abs. 1 der Art. 140, auf alle anderen Staatsverträge der Art. 139 mit der Maßgabe anzuwenden, daß Staatsverträge, deren Gesetz- oder Verfassungswidrigkeit der Verfassungsgerichtshof feststellt, vom Tage der Kundmachung des Erkenntnisses an von den zu ihrer Vollziehung berufenen Organen nicht anzuwenden sind, wenn der Verfassungsgerichtshof nicht eine Frist bestimmt, innerhalb welcher ein solcher Staatsvertrag weiter anzuwenden ist. Diese Frist darf bei den in Art. 50 bezeichneten Staatsverträgen und bei den Staatsverträgen gemäß Art. 16 Abs. 1, die gesetzändernd oder gesetzesergänzend sind, zwei Jahre, bei allen anderen Staatsverträgen ein Jahr nicht überschreiten.

(2) Stellt der Verfassungsgerichtshof die Gesetz- oder Verfassungswidrigkeit eines Staatsvertrages fest, der durch Erlassung von Gesetzen oder Verordnungen zu erfüllen ist, so erlischt die Wirksamkeit des Genehmigungsbeschlusses oder der Anordnung, den Staatsvertrag durch Verordnung zu erfüllen.''

Artikel 141. (1) Der Verfassungsgerichtshof erkennt

Die Anfechtung (der Antrag) kann auf die behauptete Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens beziehungsweise auf einen gesetzlich vorgesehenen Grund für den Verlust der Mitgliedschaft in einem allgemeinen Vertretungskörper, im Europäischen Parlament, in einem mit der Vollziehung betrauten Organ einer Gemeinde oder in einem satzungsgebenden Organ (Vertretungskörper) einer gesetzlichen beruflichen Vertretung gegründet werden. Der Verfassungsgerichtshof hat einer Wahlanfechtung stattzugeben, wenn die behauptete Rechtswidrigkeit eines Wahlverfahrens erwiesen wurde und auf das Wahlergebnis von Einfluß war. In dem Verfahren vor den Verwaltungsbehörden hat auch der allgemeine Vertretungskörper und die gesetzliche berufliche Vertretung Parteistellung.

(2) Wird einer Anfechtung gemäß Abs. 1 lit. a stattgegeben und dadurch die teilweise oder gänzliche Wiederholung der Wahl zu einem allgemeinen Vertretungskörper, zum Europäischen Parlament oder zu einem satzungsgebenden Organ der gesetzlichen beruflichen Vertretungen erforderlich, so verlieren die betroffenen Mitglieder dieses Vertretungskörpers ihr Mandat im Zeitpunkt der Übernahme desselben durch jene Mitglieder, die bei der innerhalb von 100 Tagen nach der Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes durchzuführenden Wiederholungswahl gewählt wurden.

(3) Unter welchen Voraussetzungen der Verfassungsgerichtshof über Anfechtungen des Ergebnisses von Volksbegehren, Volksbefragungen oder Volksabstimmungen zu entscheiden hat, wird durch Bundesgesetz geregelt. Bundesgesetzlich kann auch angeordnet werden, wie lang im Hinblick auf eine solche Anfechtungsmöglichkeit mit der Kundmachung des Bundesgesetzes, über das eine Volksabstimmung erfolgte, zugewartet werden muß.

Artikel 142. (1) Der Verfassungsgerichtshof erkennt über die Anklage, mit der die verfassungsmäßige Verantwortlichkeit der obersten Bundes- und Landesorgane für die durch ihre Amtstätigkeit erfolgten schuldhaften Rechtsverletzungen geltend gemacht wird.

(2) Die Anklage kann erhoben werden:

(3) Wird von der Bundesregierung gemäß Abs. 2 lit. e die Anklage nur gegen einen Landeshauptmann oder dessen Stellvertreter erhoben und erweist es sich, daß einem nach Artikel 103, Absatz 2, mit Angelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung befaßten anderen Mitglied der Landesregierung ein Verschulden im Sinne des Absatzes 2, lit. d, zur Last fällt, so kann die Bundesregierung jederzeit bis zur Fällung des Erkenntnisses ihre Anklage auch auf dieses Mitglied der Landesregierung ausdehnen.

(4) Das verurteilende Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes hat auf Verlust des Amtes, unter besonders erschwerenden Umständen auch auf zeitlichen Verlust der politischen Rechte zu lauten; bei geringfügigen Rechtsverletzungen in den in Abs. 2 unter c, e, g und h erwähnten Fällen kann sich der Verfassungsgerichtshof auf die Feststellung beschränken, daß eine Rechtsverletzung vorliegt. Der Verlust des Amtes des Präsidenten des Landesschulrates hat auch den Verlust jenes Amtes zur Folge, mit dem das Amt des Präsidenten gemäß Artikel 81a Abs. 3 lit. b verbunden ist;

(5) Der Bundespräsident kann von dem ihm nach Art. 65 Abs. 2 lit. c zustehenden Recht nur auf Antrag des Vertretungskörpers oder der Vertretungskörper, von dem oder von denen die Anklage beschlossen worden ist, wenn aber die Bundesregierung die Anklage beschlossen hat, nur auf deren Antrag Gebrauch machen, und zwar in allen Fällen nur mit Zustimmung des Angeklagten.

Artikel 143. Die Anklage gegen die in Artikel 142 Genannten kann auch wegen strafgerichtlich zu verfolgender Handlungen erhoben werden, die mit der Amtstätigkeit des Anzuklagenden in Verbindung stehen. In diesem Falle wird der Verfassungsgerichtshof allein zuständig; die bei den ordentlichen Strafgerichten etwa bereits anhängige Untersuchung geht auf ihn über. Der Verfassungsgerichtshof kann in solchen Fällen neben dem Artikel 142, Absatz 4, auch die strafgesetzlichen Bestimmungen anwenden.

Artikel 144. (1) Der Verfassungsgerichtshof erkennt über Beschwerden gegen Bescheide der Verwaltungsbehörden einschließlich der unabhängigen Verwaltungssenate, soweit der Beschwerdeführer durch den Bescheid in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung, eines verfassungswidrigen Gesetzes oder eines rechtswidrigen Staatsvertrages in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet. Die Beschwerde kann erst nach Erschöpfung des Instanzenzuges erhoben werden.

(2) Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde bis zur Verhandlung durch Beschluß ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist. Die Ablehnung der Behandlung ist unzulässig, wenn es sich um einen Fall handelt, der nach Art. 133 von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen ist.

(3) Findet der Verfassungsgerichtshof, daß durch den angefochtenen Bescheid der Verwaltungsbehörde ein Recht im Sinne des Abs. 1 nicht verletzt wurde, und handelt es sich nicht um einen Fall, der nach Art. 133 von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen ist, so hat der Verfassungsgerichtshof auf Antrag des Beschwerdeführers die Beschwerde zur Entscheidung darüber, ob der Beschwerdeführer durch den Bescheid in einem sonstigen Recht verletzt wurde, dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten. Dies gilt sinngemäß bei Beschlüssen nach Abs. 2.

Artikel 145. Der Verfassungsgerichtshof erkennt über Verletzungen des Völkerrechtes nach den Bestimmungen eines besonderen Bundesgesetzes.

Artikel 146. (1) Die Exekution der Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes über Ansprüche nach Artikel 137 wird von den ordentlichen Gerichten durchgeführt.

(2) Die Exekution der übrigen Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes liegt dem Bundespräsidenten ob. Sie ist nach dessen Weisungen durch die nach seinem Ermessen hiezu beauftragten Organe des Bundes oder der Länder einschließlich des Bundesheeres durchzuführen. Der Antrag auf Exekution solcher Erkenntnisse ist vom Verfassungsgerichtshof beim Bundespräsidenten zu stellen. Die erwähnten Weisungen des Bundespräsidenten bedürfen, wenn es sich um Exekutionen gegen den Bund oder gegen Bundesorgane handelt, keiner Gegenzeichnung nach Artikel 67.

Artikel 147. (1) Der Verfassungsgerichtshof besteht aus einem Präsidenten, einem Vizepräsidenten, zwölf weiteren Mitgliedern und sechs Ersatzmitgliedern.

(2) Den Präsidenten, den Vizepräsidenten, sechs weitere Mitglieder und drei Ersatzmitglieder ernennt der Bundespräsident auf Vorschlag der Bundesregierung; diese Mitglieder sind aus dem Kreis der Richter, Verwaltungsbeamten und Professoren eines rechtswissenschaftlichen Faches an einer Universität zu entnehmen. Die übrigen sechs Mitglieder und drei Ersatzmitglieder ernennt der Bundespräsident auf Grund von Vorschlägen, die für drei Mitglieder und zwei Ersatzmitglieder der Nationalrat und für drei Mitglieder und ein Ersatzmitglied der Bundesrat erstatten. Drei Mitglieder und zwei Ersatzmitglieder müssen ihren ständigen Wohnsitz außerhalb der Bundeshauptstadt Wien haben. Verwaltungsbeamte, die zu Mitgliedern des Verfassungsgerichtshofes ernannt werden, sind, soweit und solange sie nicht im Ruhestandsverhältnis sind, außer Dienst zu stellen.

(3) Der Präsident, der Vizepräsident sowie die übrigen Mitglieder und die Ersatzmitglieder müssen die rechts- und staatswissenschaftlichen Studien vollendet und bereits durch mindestens zehn Jahre eine Berufsstellung bekleidet haben, für die die Vollendung dieser Studien vorgeschrieben ist.

(4) Dem Verfassungsgerichtshof können nicht angehören: Mitglieder der Bundesregierung oder einer Landesregierung, ferner Mitglieder des Nationalrates, des Bundesrates oder sonst eines allgemeinen Vertretungskörpers; für Mitglieder dieser Vertretungskörper, die auf eine bestimmte Gesetzgebungs- oder Funktionsperiode gewählt wurden, dauert die Unvereinbarkeit auch bei vorzeitigem Verzicht auf das Mandat bis zum Ablauf der Gesetzgebungs- oder Funktionsperiode fort. Endlich können dem Verfassungsgerichtshof Personen nicht angehören, die Angestellte oder sonstige Funktionäre einer politischen Partei sind.

(5) Zum Präsidenten oder Vizepräsidenten des Verfassungsgerichtshofes kann nicht bestellt werden, wer eine der im Absatz 4 bezeichneten Funktionen in den letzten vier Jahren bekleidet hat.

(6) Auf die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes finden Artikel 87, Absätze 1 und 2, und Artikel 88, Absatz 2, Anwendung; die näheren Bestimmungen werden in dem gemäß Artikel 148 ergehenden Bundesgesetz geregelt. Als Altersgrenze, nach deren Erreichung ihr Amt endet, wird der 31. Dezember des Jahres bestimmt, in dem der Richter das siebzigste Lebensjahr vollendet hat.

(7) Wenn ein Mitglied oder Ersatzmitglied drei aufeinanderfolgenden Einladungen zu einer Verhandlung des Verfassungsgerichtshofes ohne genügende Entschuldigung keine Folge geleistet hat, so hat dies nach seiner Anhörung der Verfassungsgerichtshof festzustellen. Diese Feststellung hat den Verlust der Mitgliedschaft oder der Eigenschaft als Ersatzmitglied zur Folge.

Artikel 148. Die näheren Bestimmungen über die Organisation und das Verfahren des Verfassungsgerichtshofes werden durch ein besonderes Bundesgesetz und auf Grund dieses durch eine vom Verfassungsgerichtshof zu beschließende Geschäftsordnung geregelt.


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